Ein Lotse, mehrere Flughäfen: Norwegen startet mit Multi-Airport Remote Tower Operations

Multi-Airport Remote Tower Operations in Norwegen
Ein Lotse, mehrere Flughäfen

ArtikeldatumVeröffentlicht am 02.11.2025
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Fernüberwachung von Flughäfen ist nichts Neues. Erfunden wurde das Konzept der Remote Tower Control (RTC) 2002 vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), mittlerweile kommt es an kleineren Flughäfen in Deutschland, England, Norwegen, Rumänien, Schweden und den USA zum Einsatz. Kennzeichnend für RTC ist, dass die Fluglotsen nicht vor Ort sitzen und die Flugbewegungen am Boden und in der Luft durch die Tower-Fenster beobachten, sondern mithilfe von Kamerasystemen von geografisch entfernten Zentren aus. Bisher war allerdings ein Fluglotse für einen Flughafen zuständig. Der norwegische Flugsicherungsdienst Avinor führt nun als erster weltweit die sogenannten Multi-Airport Remote Tower Operations ein. Dabei betreut ein Lotse mehrere Flughäfen gleichzeitig aus einem RTC-Center.

Das RTC-Center in Bodø von außen
Avionor

Langer Freigabeprozess

Das RTC-Center in Bodø ist das weltweit größte seiner Art und beherbergt 16 Fernüberwachungsstationen. Seit April 2025 werden von dort aus 14 Flughäfen in ganz Norwegen kontrolliert, rund 60 Mitarbeiter sind in Bodø beschäftigt. Neu ist der sogenannte multiple Betrieb, bei dem ein Lotse mehrere Flugplätze zur selben Zeit überwacht. "Derzeit umfasst die validierte Fähigkeit die gleichzeitige Kontrolle von einem, zwei oder drei Flughäfen”, sagte Martin Hasselknippe, Produktberater Tower-Systeme bei Indra, bei einem virtuellen Vortrag der internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO im Mai. Indra liefert Avinor das Flugsicherungssystem inNOVA für das RTC-Center in Bodø. Die Software für das Management mehrerer Flughäfen gleichzeitig ging im Februar 2025 live. "Wir sind noch nicht in Betrieb mit dem Konzept. Wir sind in engen Gesprächen mit den Behörden", präzisiert Ragnvald Godø, leitender Programmmanager bei Avinor. Da Avinor der erste Betreiber weltweit ist, sind die Anforderungen an die Dokumentation hoch und der Freigabeprozess durch die Behörden sehr streng. Man wisse noch nicht, wann man mit dem multiplen Betrieb beginnen könne, so Godø auf Nachfrage der FLUG REVUE im September. "Die Antwort der CAA [die norwegische Luftfahrtbehörde; d. Red.] hat länger gedauert als erwartet, aber andererseits erkennen wir an, dass Norwegen weltweit führend bei multiplem Betrieb ist und die CAA daher alle Aspekte des Falls genau prüfen muss, bevor sie ihre Genehmigung erteilt."

Überblick über das RTC-Center in Bodo
Avionor

Bisher nur AFIS-Dienste

Wie viele Flughäfen simultan betreut werden können, hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter Verkehrsaufkommen, Flughafenlayout, Verkehrsmix und Komplexität des Verkehrs. Validiert wurde der multiple Betrieb bisher für Airports mit niedriger bis mittlerer Verkehrsdichte. Avinor bietet bisher sogenannte AFIS-Dienste (Aerodrome Flight Information Service) für die 14 betreuten Flughäfen (2027 sollen noch 7 weitere hinzukommen). Es handelt sich um sogenannte unkontrollierte Flugplätze, d. h. ohne Tower, wo neben Sichtflug- auch IFR-Verkehr stattfindet. Bei AFIS geben die Lotsen den Piloten wichtige Hinweise für einen sicheren Flugbetrieb, z. B. Flug- und Wetterinformationen, Hinweise zu Navigationshilfen oder möglichen Einschränkungen am Platz. AFIS ist nicht zu verwechseln mit der klassischen Flugverkehrskontrolle (Air Traffic Control, ATC), wo Lotsen den Luftraum, Start- und Landebahnen und Rollwege überwachen, Bewegungen lenken und verbindliche Anweisungen und Freigaben erteilen. "Bis 2029 planen wir den ersten ATC-Flughafen. Es ist der neue Airport, der in der Stadt Bodø gebaut wird. Das ist ein neuer Schritt für uns", sagte Godø. Was den künftigen multiplen Betrieb mit solchen kontrollierten Flughäfen angeht, müsse man sehen, wie viele ein Lotse gleichzeitig betreuen könne.

Arbeitsplatz im Remote Tower in Norwege
Indra

Günstiger und Flexibler

Die Arbeiten an der simultanen Fernüberwachung von mehreren Flughäfen begannen laut Hasselknippe bereits vor mehr als zehn Jahren. 2021 bestätigte Indra schließlich das Konzept im Rahmen der öffentlich-privaten Partnerschaft SESAR (Single European Sky ATM Research) mithilfe von Echtzeitsimulationen zusammen mit Avinor und der ungarischen Flugsicherung HungaroControl. Das System sei sowohl für AFIS als auch ATC validiert. Im Rahmen von SESAR habe man sogar "mit großem Erfolg" belegt, so Hasselknippe, dass die Anflugkontrolle mit der Betreuung mehrerer Flughäfen kombiniert werden könne. Flugsicherungsdienste können durch RTC und Multi-Airport Remote Tower Operations die Betriebskosten senken. Auch der flexiblere Personaleinsatz ist vorteilhaft. Durch die Sensortechnologie vor Ort an den Flughäfen könne die Sicherheit, vor allem bei Schlechtwetter und Dunkelheit, verbessert werden, so Hasselknippe. Aber das Konzept wirft Fragen auf: Wie lässt sich Lotsen ein genaues und umfassendes Bild von der Situation an verschiedenen Flughäfen vermitteln? Wie wird sichergestellt, dass sie nicht überlastet werden? Nach Angaben von Hasselknippe ist die dynamische Zuweisung von Flughäfen in einem RTC-Center beim multiplen Betrieb unabdingbar. Wenn die Arbeitsbelastung eines Lotsen aufgrund der aktuellen Verkehrssituation zunimmt, müssen die anderen von ihm betreuten Flughäfen auf andere Fernüberwachungsmodule übertragen werden – und zwar reibungslos und ohne Informationsverlust. Der Lotse, der neu übernimmt, muss dabei schon vor der Übergabe Zugang zu Flughafenverkehrsdaten, Videofeed und Fluginformationen erhalten, um sich vorzubereiten. Hilfreich ist auch die Verkehrslastvorhersage, die bei den Lotsen ein Bewusstsein für die künftige Arbeitsbelastung schafft und damit eine frühzeitige Planung für die Umverteilung von Flughäfen ermöglicht.

 360°-Kameras am Flughafen Vardo für die Fernüberwachung
Ben Marius Lorentzen / Avionor

Supervisoren-Tools

Eine wichtige Rolle spielen auch die Supervisoren in dem Konzept. Ihre Aufgabe ist eine Mischung aus Personalverwaltung und Unterstützung im Betrieb (wie in größeren, konventionellen Türmen) sowie Planung und Handhabung von Ressourcen (wie in Area Control Centers). Der Supervisor muss im RTC-Center dafür sorgen, dass die Lotsen eine beherrschbare Arbeitsbelastung haben. Indra hat verschiedene Tools entwickelt, die dem Supervisor eine Übersicht geben: Welcher Lotse sitzt an welcher Position? Welche Flughäfen sind wem zugewiesen? Welche Pisten sind in Betrieb? Wie entwickelt sich das Wetter? Hinzukommen weitere Tools, darunter eins für Verkehrslast und Planung. Es zeigt den künftigen, geplanten Verkehr an jedem Flughafen in einer Zeitleiste, macht sichtbar, wann und wo gleichzeitig Flugverkehr auftritt, und weist darauf hin, wenn ein definierter Wert an simultanen Bewegungen überschritten wird. Mit einem "Was wäre, wenn …"-Tool kann der Supervisor in die Zukunft blicken und ausprobieren, wie sich eine Veränderung der Flughafenzuweisung auf die Arbeitsbelastung eines Lotsen auswirkt.

Darstellung der drei Flughäfen auf den Bildschirmen am Multi-Airport-Arbeitsplatz
Indra

Lernen im laufenden Betrieb

Der Arbeitsplatz eines Lotsen besteht im RTC-Center in Bodø aus einem Schreibtisch mit Head-down-Display und Sprachkommunikationssystem sowie davor aufgebauten großen Head-up-Bildschirmen, auf denen in zwei Reihen die Videoansichten von drei Flughäfen angezeigt werden können – zwei oben mit je 180°-Ansicht, einer unten mit 360°-Rundumblick. Die Kameras an den Flughäfen können in jede Richtung geschwenkt werden. Die Position der Flughäfen auf den Bildschirmen kann je nach Bedarf getauscht werden. Auf dem Head-down-Display erfolgt die Aufteilung analog in zwei Slots oben und einen unten. "Die Designprinzipien ermöglichen es dem Lotsen, sich auf die wichtigen Aufgaben und Systeme zu fokussieren", sagte Godø. "Wir haben ursprünglich zwischen zwei und drei Monate für das einführende Systemtraining eingeplant. Es hat sich aber gezeigt, dass das System so einfach zu erlernen ist, dass wir das Training auf unter einen Monat reduzieren konnten." In den echten Betrieb gestartet werden soll zunächst mit Flughäfen, die ein sehr geringes Flugaufkommen haben. "Wir müssen währenddessen lernen", so Godø.